4 Grundlagen für eine wirksame digitale Transformation
Digitale Transformationen sind kosten- und zeitintensive Prozesse, die mit erheblichen Herausforderungen verbunden sind. Im Vergleich zu herkömmlichen Projekten zeichnen sie sich durch eine Vielzahl an Systemen und Prozesse aus, die aktualisiert oder verändert werden müssen. Das bedeutet gleichzeitig, dass viele unterschiedliche Interessensträger (Stakeholder) betroffen sind.
Kurzum: Es ist komplex.
Solche Vorhaben implizieren viele unbekannte Faktoren und Dynamiken, die sich nicht in wirtschaftlich angemessener Zeit analysieren und einschätzen lassen. Sie werden unweigerlich im Laufe des Projekts auf Probleme oder Erkenntnisse stoßen, die Sie zuvor nicht bedacht haben. Es ist wichtig anzumerken, dass Emotionen wie Sorgen, Ängste und Machtdynamiken oft eine entscheidende Rolle spielen und nicht immer rein rational gehandelt wird.
Bevor Sie sich daher direkt in die Auswahl neuer Systeme, die Anforderungserhebung oder gar die Umsetzung stürzen, empfehlen wir folgendes sicherzustellen:
- Klarstellung Ihrer Intentionen und Ziele für die digitale Transformation.
- Erstellung einer Übersicht über die zu bearbeitenden Bereiche sowie derjenigen, die nicht Teil des Projekts sind.
- Identifikation der verschiedenen Rollen bzw. Benutzer, die involviert oder von der Transformation betroffen sind.
- Sicherstellung einer kontinuierlichen organisatorischen Kommunikation und Bearbeitung.
Indem Sie diese Grundlagen vorab sichern, legen Sie ein solides Fundament für einen erfolgreichen Verlauf Ihrer digitalen Transformation.
#1 Intention & Ziele: Warum machen wir das?
Es gibt unterschiedliche Auslöser für digitale Transformationen, die einen direkten Rückschluss ermöglichen, mit welcher Intention das Vorhaben ausgerufen wird.
Typischerweise begegnen uns drei verschiedene Gründe:
- Ein kritisches System (z.B. die Warenwirtschaft) wird vom Hersteller nicht mehr länger technisch unterstützt und muss ausgetauscht werden.
- Die internen Abläufe sind zu ineffizient geworden, merkbar anhand langer Wartezeiten oder Kostenexplosionen.
- Es gibt Druck von außen: Die Anforderungen der Kunden verändern sich, der Wettbewerb wird stärker, Marktanteile gehen verloren etc.
Diese Auslöser sind nicht exklusiv. Es passiert häufig, dass z.B. 2) und 3) miteinander zusammenhängen oder 1) so viel Druck intern auslöst, dass »endlich« 2) angegangen werden soll.
Aus dem Umkehrschluss dieser Auslöser ergeben sich allgemeine Zielformulierungen:
- Das kritische System wird durch eine neue Lösung ausgetauscht, um die Kontinuität des Geschäfts zu sichern.
- Die internen Prozesse werden durch neue digitale Lösung effizienter gestalten, sodass Kosten sinken und Abläufe schneller werden.
- Das bestehende Angebot kann verbessert und/oder neue Services angeboten werden.
Die Wechselwirkungen sind naheliegend: Wenn wir unser altes System ablösen (1), werden wir intern effizienter (2) und verbessern unser Angebot für die Kunden (3). Prinzipiell spricht nichts dagegen, bei einer digitalen Transformation alle drei Ziele zu verfolgen. Es erhöht allerdings die Komplexität und erfordert andere Metriken, die betrachtet werden müssen.
Zum Beispiel wäre es bei Ziel 1) ausreichend, wenn die internen Prozesse nach der Systemumstellung (möglicherweise mit Anpassungen) weiterhin wie bisher funktionieren. Das bedeutet, dass wir das Ziel setzen, dass sich nach der Veränderung nichts verschlechtern soll – aber auch nicht zwangsläufig verbessert werden muss. Dadurch bleibt der Aufwand begrenzt.
Wenn jedoch Ziel 2) ins Spiel kommt, müssen wir spätestens während des Projekts die Erwartungshaltung klären: Wie viele Kosten sollen im Betrieb eingespart werden? Wie viel schneller sollen die Prozesse ablaufen? Aus Erfahrung wissen wir, dass dies unbequeme Fragen sind, da oft keine genaue Vorstellung besteht und die Messbarkeit diffus erscheint.
Nur, wenn ich in eine digitale Transformationen eine siebenstellige Summe investiere, dann ist es wichtig sicherzustellen, dass am Ende nicht nur eine Stunde oder ein paar hundert Euro im Monat eingespart werden.
Bedeutet also: Wenn Sie mehrere Ziele verfolgen, artikulieren Sie diese separat und konkretisieren Sie sie. Seien Sie vorsichtig dabei, zu viele Ziele gleichzeitig zu verfolgen oder zu bearbeiten, da dies zusätzliche Dynamik erzeugt.
#2 Übersicht: Worüber reden wir?
Menschen sind oft nicht in der Lage, komplexe Strukturen im Kopf zu behalten, besonders wenn sie sich nicht intensiv damit beschäftigt haben. Aus unserer Erfahrung führen Diskussionen über umfangreiche Projekte häufig zu Verwirrung, da alle Beteiligten ein leicht (oder sogar stark) unterschiedliches Verständnis davon haben.
Um diesem Problem entgegenzuwirken, sind Visualisierungen hilfreich. Sie reduzieren die kognitive Belastung, ein komplexes Bild im Kopf behalten zu müssen, und schaffen so Raum für neue Gedanken.
Wenn es um digitale Transformationen geht, denkt man sofort an Architekturdiagramme, die sowohl den aktuellen als auch den angestrebten Zustand abbilden sollen. Allerdings sind solche Diagramme oft sehr technisch und werden von einem Teil der Beteiligten möglicherweise nicht vollständig verstanden.
Daher bevorzugen wir zum Einstieg die Verwendung von Wertschöpfungsketten nach Simon Wardley. Diese helfen dabei, von einem Benutzerbedürfnis ausgehend zu ermitteln, welche Komponenten (Systeme, Aktivitäten, Wissen usw.) benötigt werden, um dieses Bedürfnis zu erfüllen.
Um eine erste grobe Gesamtübersicht zu erhalten, empfiehlt es sich, ein sehr allgemeines Kundenbedürfnis als Ausgangspunkt zu verwenden. Ein Beispiel:
In diesem fiktiven Digitalisierungsprojekt sollen das ERP-System und das CRM-System ausgetauscht werden. Gleichzeitig soll ein Produktkonfigurator eingeführt werden, um das Fachpersonal bei der Beratung zu entlasten.
In der nachfolgenden Übersicht sind die Komponenten in Magenta markiert, die verändert werden müssen. Durch die Beziehungen zwischen den Komponenten erkennen wir, dass insbesondere das ERP-System eine Vielzahl anderer Komponenten und Prozesse betrifft. Weitere Diskussions- und Entscheidungspunkte könnten sein, ob beispielsweise das Flottenmanagement als eigenständiges Tool beibehalten oder durch ein neues ERP-System ersetzt werden soll.
Je nach Bedarf kann eine solche Übersicht weiter ausgebaut bzw. detaillierter dargestellt werden, inkl. auch Veränderungsbewegungen. Mehr Details dazu finden Sie in unserem Blogbeitrag »Strategie impliziert Bewegungen«.
Oft wird durch eine solche Übersicht den Stakeholdern erst bewusst, wie umfangreich die Systemlandschaft tatsächlich ist und wer oder was alles von den Veränderungen betroffen ist.
#3 Stakeholder: Wen betrifft es wie?
Große Digitalisierungsprojekte sind nicht nur durch komplexe technische Herausforderungen gekennzeichnet, sondern auch durch starke emotionale und menschliche Dynamiken.
Solche Veränderungen lösen bei vielen Menschen bewusst oder unbewusst Sorgen und Ängste aus: Werde ich meinen Job verlieren oder an Einfluss einbüßen? Kann ich mit dem neuen System effektiv arbeiten? Wie soll ich die zusätzliche Arbeit bewältigen? Warum wurde ich nicht früher konsultiert?
Deshalb ist es entscheidend, die betroffenen Personen so früh wie möglich in den Prozess einzubeziehen, um Gerüchte zu vermeiden, blinde Flecken aufzudecken und gemeinschaftliches Interesse zu fördern. Die ersten beiden Schritte helfen bereits dabei, weil sie es ermöglichen, klar zu kommunizieren, warum die Veränderung angestrebt wird und welche Teile davon voraussichtlich betroffen sind.
Anstelle einer traditionellen Stakeholder-Matrix mit Macht und Interesse als Achsen haben wir zuletzt positive Erfahrungen mit der alternativen Herangehensweise von Klaus Leopold und Siegfried Kaltenecker gemacht. Ihr Modell konzentriert sich vor allem darauf, die verschiedenen Rollen und Verantwortlichkeiten in einem Veränderungsprojekt klar zu definieren. Konkret unterteilen sie diese in:
- Sponsoren: Die Initiatoren, Zielsetzer und Finanzierer (Was & Warum)
- Change-Team: Die Gestalter des Veränderungsprozesses (Wie)
- Change-Agents: Mitgestalter, Schlüsselfiguren und Multiplikatoren
- Stakeholder: Alle anderen Betroffenen
Mangelt es z.B. an einflussreichen Sponsoren, ist die Gefahr groß, dass ein Digitalisierungsvorhaben schnell wieder zurückgestellt wird, wenn woanders Bedürfnisse hochkommen. Fehlt es an einem definierten Change-Team, das den Prozess vorantreibt und steuert, werden die Fortschritte marginal sein.
Es ist wichtig, dass die identifizierten Personen sich selbst mit der zugeordneten Rolle identifizieren können und in der Lage sind, diese Rolle effektiv auszufüllen. Daher ist es ratsam, eine solche Einteilung gemeinsam mit möglichst vielen betroffenen Personen durchzuführen, insbesondere mit denen, die eine wichtige Rolle im Projekt innehaben. So wird sichergestellt, dass die Rollenverteilung von den Beteiligten akzeptiert und unterstützt wird, was die Zusammenarbeit und den Erfolg des Projekts fördert.
Für die erfolgreiche Umsetzung einer digitalen Transformation ist in der Regel eine separate, temporäre Organisations- und Kommunikationsstruktur erforderlich. Typischerweise können derartige Projekte nicht von einzelnen Abteilungen oder Teams allein realisiert werden, da die Koordination zwischen diesen Organisationseinheiten ineffizient wäre, insbesondere wenn kein hoher Reifegrad in der Zusammenarbeit besteht. Die bestehende Organisation ist in der Regel darauf ausgerichtet, die aktuellen Prozesse und Systeme zu unterstützen und nicht darauf, diese grundlegend zu verändern.
Daher ist es sinnvoll, ein Change-Team als eigenständige Organisationseinheit zu etablieren. Dieses Team sollte sich idealerweise mit hoher Konzentration und Arbeitszeit darauf fokussieren, das „Wie?“ der Transformation zu klären, selbst wenn die konkrete Implementierung möglicherweise von anderen Teams oder externen Dienstleistern übernommen wird.
Je nach Situation können sich mehrschichtige Strukturen ergeben, bei denen eine Managementebene das grundsätzliche Vorgehen und die Entscheidungsprozesse festlegt, wie beispielsweise die Kriterien für die Auswahl von Systemen oder Dienstleistern und wer letztendlich darüber entscheidet. Ein separates Team innerhalb dieses Rahmens übernimmt dann die Detailausgestaltung und arbeitet eng mit den verschiedenen Stakeholdern zusammen. Bei einem unserer Kunden sah dies beispielsweise wie folgt aus:
#4 Kommunikation: Wie sichern wir den Austausch?
Um die Sorgen und Interessen der Stakeholder einzufangen, ist es von entscheidender Bedeutung, diesen möglichst transparente Informationen über die bereits erfolgten und geplanten Schritte des Projekts zur Verfügung zu stellen und strukturierte Kommunikationskanäle zu etablieren.
Ein Beispiel hierfür könnte ein für alle einsehbares virtuelles Board sein, auf dem der aktuelle Stand des Projekts einschließlich der beteiligten Personen übersichtlich festgehalten wird. Auf diese Weise können Interessierte sich jederzeit selbstständig informieren und bei Bedarf gezielt Personen ansprechen, um Fragen zu klären.
Des Weiteren kann die Einrichtung eines wöchentlichen Meetings hilfreich sein, in dem Fortschritte, nächste Schritte und eventuelle Probleme kurz und prägnant koordiniert werden. Dies stellt sicher, dass keine übermäßige bilaterale Kommunikation im Hintergrund stattfindet und potenzielle Frustrationen sich nicht zu lange aufstauen. Abhängig von der vorhandenen Politik-, Organisations- und Hierarchiestruktur kann es auch notwendig sein, separate Gesprächsmöglichkeiten zu schaffen. Im Allgemeinen sollte jedoch eine Tendenz zu gemeinschaftlichen Veranstaltungen bestehen.
Weitere hilfreiche Artefakte & Rituale sind:
- Kanban-Boards zur Organisation der konkreten Arbeit in den jeweiligen Teams bzw. Arbeitsgruppen
- Dailys für die alltägliche Koordination innerhalb der Teams bzw. Arbeitsgruppen
- Regelmäßige Retrospektiven, um die Zusammenarbeit zu verbessern und Konflikte frühzeitig zu adressieren
TL;DR
Digitale Transformationen sind komplex. Um sie zu meistern, braucht es eine separate Organisations- und Kommunikationsstruktur, gutes Stakeholder-Management und Klarheit in Zielen & Umfang. Schaffen Sie zuerst diese Grundlagen, bevor Sie in die Details hineinspringen.
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