Wirksamkeit. Der Versuch den Begriff auf Bedürfnisse auszurichten

Der Begriff Wirksamkeit erfreut sich wachsender Beliebtheit. Und nicht zuletzt haben auch wir in unserem Firmennamen „impactive“ eingebaut. Denn auch unsere Arbeit will wirksam sein. Oder eben einen Sinn ergeben. Wir wollen uns, wie so viele andere auch, nicht einfach nur mit Themen beschäftigen. Wir wollen einen Unterschied machen. Wenn wir mitarbeiten, dann soll man das sehen und spüren können. Aber was ist das eigentlich genau, Wirksamkeit?

Wirksam zu sein heißt, etwas zu tun und anschließend eine Veränderung wahrzunehmen. Der Duden führt auch Effektivität als Synonym für Wirksamkeit auf.* Und woran merke ich, dass mein Handeln effektiv war? Aus der Perspektive des klassischen Projektmanagements könnte effektiv bedeuten, dass wir einen Plan in die Realität umgesetzt haben. Wir haben das getan, was wir ursprünglich vorhatten.

Wirksam zu sein heißt auch hier: Ich kann die Auswirkung meines Handelns beobachten. Wenn ich aber nur den Plan und das Ergebnis miteinander vergleiche, dann habe ich die vielleicht wichtigste Frage nicht gestellt. Nämlich wozu dient mein Handeln? Welchen Zweck habe ich verfolgt und konnte ich ihn auch erreichen?

Der agile Blick hilft, die Perspektive zu verändern. Hier rückt die Frage nach dem Plan-Ist-Vergleich in den Hintergrund. Stattdessen stellen wir Thesen auf, wie ein von uns identifiziertes Bedürfnis durch ein Produkt oder eine Dienstleistung erfüllt werden kann. Wirksam sind wir, wenn wir die These durch einen Prototypen oder besser noch durch ein erstes, schlankes Produkt validieren konnten. Denn nur wenn reale Anwender:innen das von uns Hergestellte nutzen, dann sind wir wirksam gewesen.

Aber was ist das genau, ein Bedürfnis? Schauen wir beispielsweise einmal aus der Perspektive eines Herstellers von Stiften auf diese Frage. Sprechen wir nun aus seiner Perspektive mit Menschen, die Stifte nutzen, kommen wir zu sehr vielen, teils sehr unterschiedlichen Antworten.

Manche möchten einfach etwas für sich zeichnen, um sich zu entspannen oder sich selbst auszudrücken. Einigen hilft es, ihre Zeichnungen und Striche schnell korrigieren zu können. Erfahrenere Nutzer:innen bevorzugen vielleicht einen klaren, nicht abreißenden Strich aus Tinte. Wieder andere nutzen Stifte bei der Arbeit und wollen an Whiteboards oder Flipcharts kräftige, farbige und langlebige Skizzen erstellen. Hier stehen Bedürfnisse nach Kommunikation, Teilhabe, Verstehen und sich Mitteilen im Vordergrund.

Auf der einen Seite finden wir also Bedürfnisse, z.B. sich durch Zeichnen kreativ selbst auszudrücken. Auf der anderen Seite greifen unterschiedliche Menschen auf verschiedene Strategien zurück, um dieses Bedürfnis zu erfüllen. Manche nutzen lieber Bleistifte, andere Kreide oder sogar Aquarellfarben und Pinsel. Das gleiche Bedürfnis kann also auf unterschiedliche Wege erfüllt werden.

Vorläufige Definition von Wirksamkeit

Bis hierher könnten wir sagen:

Wir sind wirksam, wenn wir zuverlässige Strategien zur Erfüllung von Bedürfnissen gefunden und realisiert haben.

Bedürfnisse sind für den US-amerikanischen Psychologen Abraham H. Maslow das Essentielle im Leben von uns Menschen. Er arbeitete heraus, wie ähnlich wir uns in unseren Bedürfnissen sind. Dass wir Menschen „einander mehr gleichen, als man auf den ersten Blick sieht“ (Maslow 2014, S. 49). Er merkte aber auch an, dass unsere Wege zur Befriedigung eines bestimmten Bedürfnisses in den verschiedenen Kulturen und Umfeldern ganz unterschiedlich ausfallen.

Maslow entdeckte und beschrieb, dass menschliche Wesen niemals dauerhaft befriedigt sind. Wurde ein Bedürfnis erfüllt, wird gleich ein nächstes sichtbar, das beantwortet werden will.

Bedürfnisse lassen sich nach Maslow hierarchisch ordnen. Menschen können sich seiner Beobachtung nach erst ihrer Selbstverwirklichung widmen, wenn Grundbedürfnisse nach Nahrung und Sicherheit erfüllt sind. Die berühmte Bedürfnispyramide wurde von ihm selbst so aber nie gezeichnet. Ja, die Diskussion über eine exakte Hierarchie und Anordnung führt uns sogar weg von einer fruchtbareren Diskussion. Dazu gleich mehr.

Maslow selbst betonte, dass wir den Versuch aufgeben sollten „atomistische Kataloge von Trieben oder Bedürfnissen anzulegen“ (Maslow 2014, S. 52). Vielmehr sollten wir unsere grundlegenden Bedürfnisse als „Ensembles verstehen […], als grundlegende Kategorien oder Kollektionen von Bedürfnissen“, die sich einander dermaßen überlappen, „dass es fast unmöglich ist, sie klar und scharf voneinander zu unterscheiden“ (Maslow 2014, S. 53).

Wir nehmen also mit: Wir Menschen teilen miteinander alle dieselben Bedürfnisse. Diese sollte man sich aber lieber vernetzt als Wolken vorstellen und nicht als klar voneinander unterscheidbare Einheiten. Ein zu enger Blick ist kontraproduktiv.

Strategien lassen sich qualifizieren

Der chilenische Ökonom Manfred A. Max-Neef folgt dem Ansatz von Abraham H. Maslow: Er stellt fest, dass die menschlichen Bedürfnisse als ein System verstanden werden sollten, in dem alle Bedürfnisse miteinander verwoben sind und sich gegenseitig beeinflussen (Max-Neef 1991, S.17). Er postuliert weiter, unsere Bedürfnisse als endlich, begrenzt und klassifizierbar anzusehen und unterscheidet in seinen früheren Arbeiten folgende neun fundamentale menschliche Bedürfnisse:

  • Körperliche Versorgung (Subsistence)
  • Schutz (Protection)
  • Zuwendung (Affection)
  • Verständnis (Understanding)
  • Teilhabe (Partizipation)
  • Muße (Idleness)
  • Kreativität (Creation)
  • Identität (Identity) und
  • Freiheit (Freedom).

Weiter betont Max-Neef immer noch Maslow folgend, dass die menschlichen Bedürfnisse universal in allen Kulturen und historischen Perioden sind. Was sich aber zwischen den Kulturen und den Zeitaltern unterscheidet ist die Art und Weise, wie diese Bedürfnisse befriedigt werden (Max-Neef 1991, S.18).

Im Folgenden unterscheidet Max-Neef fünf verschiedene Typen von Strategien zur Bedürfniserfüllung und schlägt damit eine Qualifizierung der Strategien vor. Spannend ist, dass er hier herausarbeitet, dass Strategien nie für sich alleine, sondern immer in einem großen Rahmen betrachtet werden müssen.

Je nachdem, welche Strategie ich einsetze, können unterschiedliche Wechselwirkungen oder ungewollte (Neben-)Effekte entstehen. Um diese überhaupt wahrnehmen und somit in meine Entscheidungen einbeziehen zu können, ist ein systemischer Blick notwendig.

Max-Neef schlägt folgende fünf Stufen für eine Qualifizierung von Strategien vor (Max-Neef 1991, S. 31-37).

  1. Violators or Destroyers. Hier handelt sich um sogenannte paradoxe Strategien, weil sie der Erfüllung von anderen Bedürfnissen schaden. Strategien, um z.B. unserem Schutzbedürfnis nachzukommen, können das Wettrüsten, ins Exil gehen oder auch Zensur sein. Damit stehen sie aber ganz offensichtlich Bedürfnissen nach Freiheit, Selbstverwirklichung und nach menschlicher Zuwendung konträr gegenüber.
  2. Pseudo-Satisfiers. Sie erzeugen ein falsches Bild davon, was im Zentrum der Bedürfnisbefriedung eigentlich stehen sollte. Die Gefahr besteht hier darin, dass sie nach einer gewissen Zeit ihre Wirkung komplett verlieren, also gar nicht mehr zur Erfüllung des ursprünglichen Bedürfnisses dienen. Pseudo-Satisfier entstehen vor allem im Umfeld von Propaganda und Werbung. So dienen z.B. Status Symbole kaum langfristig dem Bedürfnis nach Selbstverwirklichung oder Prostitution dem Bedürfnis nach menschlicher Nähe.
  3. Inhibitung Satisfiers. Diese Form der Bedürfniserfüllung überfüllt ihren Zweck und hemmt damit den Erfolg zur Erfüllung anderer Strategien. Viele wurzeln in fest verankerten Gewohnheiten und Ritualen. Wenn wir z.B. durch Social Media scrollen, kommen wir zwar kurzfristig unserem Bedürfnis nach Entspannung nach, hemmen und verhindern damit aber die Erfüllung von Bedürfnissen nach Selbstverwirklichung und Kreativität.
  4. Singular Satisfiers. Sie verhalten sich neutral zu anderen Strategien der Bedürfniserfüllung. Ihre Ursprünge liegen in der Regel in der Institutionalisierung von Kooperationen oder Gemeinschaften. Hierzu gehören sportliche Großveranstaltungen oder Guided Tours als Strategien für Freizeit & Muße. Oder Berufsarmeen und auch Versicherungssysteme, wenn es um das Bedürfnis nach Sicherheit und Schutz geht.
  5. Synergic Satisfiers. Diese Form von Strategien zur Bedürfniserfüllung erzeugen Synergien untereinander. Oder anders ausgedrückt: Eine Handlung zahlt auf die Erfüllung von mehreren Bedürfnissen ein. Wenn wir meditieren, dann stehen dahinter Bedürfnisse nach Verstehen, in der eigenen Identität ruhen und Selbstverwirklichung. Präventive Medizin erfüllt zusätzlich Bedürfnisse nach Schutz. Selbstorganisiertes Arbeiten nach Teilhabe, Freiheit, Kreativität aber auch Existenzsicherung.

In unserem Beispiel oben haben wir bisher Bedürfnisse von Menschen untersucht, die zur Stillung ihrer Bedürfnisse Stifte, Mal- oder Schreibwerkzeuge nutzen. Nach unseren bisherigen Überlegungen waren wir wirksam, wenn wir als Hersteller dazu beitragen konnten, zuverlässig etwas zur Erfüllung ihrer Bedürfnisse beigetragen zu haben, sprich: Wir haben Produkte im Angebot, die genutzt und also gekauft wurden.

Nach Max-Neef existieren Bedürfnisse aber in drei verschiedenen Kontexten (Max-Neef 1991, S.18)**:

  1. In der „Eigenwelt“, also Bedürfnisse, die sich auf uns selbst beziehen
  2. In der „Mitwelt“, also Bedürfnisse mit Bezug auf soziale Gruppen
  3. In der „Umwelt“, also Bedürfnisse mit Bezug zu der uns umgebenden Welt.

Es ist uns intuitiv völlig klar, dass unsere Bedürfnisse in ein Miteinander und in unsere Umwelt eingebettet sind und von diesen nicht losgelöst gedacht werden können. So finden sich natürlich bereits zahlreiche Produzenten von Schreibwaren, die verantwortungsvoll mit ihren Mitarbeitenden und unserer Umwelt umgehen. Stichworte sind hier Arbeitsschutz, Work-Live-Balance aber auch Energie-Effizienz, kurze Lieferketten, um den CO2-Ausstoß zu verringern, recyclingfähige Materialien und Ressourcen-Schonung durch nachfüllbare Tinte (vielleicht sogar auf Wasserbasis).

Vorschlag für eine Definition von Wirksamkeit

Fassen wir zusammen. Wirksam sind wir, wenn wir eine Strategie gefunden haben, die das Bedürfnis eines Menschen erfüllt und dabei nicht die Bedürfnisse anderer Menschen oder die unserer Umwelt einschränkt oder gar schadet:

Wir sind wirksam, wenn wir zuverlässige und sich gegenseitig positiv beeinflussende Strategien zur Erfüllung von Bedürfnissen unserer und kommender Generationen gefunden und realisiert haben.

Die Bedürfnisse unserer Umwelt sind für uns Menschen leider oft sehr abstrakt und oft eher medial und weniger ganz konkret erlebbar. In der Nachhaltigkeitsdebatte sprechen wir bereits seit dem in den 80er Jahren veröffentlichten Brundtland-Bericht (Hauff 1987, S.46) von den Bedürfnissen künftiger Generationen. Denn diese können nur erfüllt werden in einer lebendigen und lebensfreundlichen Umwelt.

Wirksamkeit darf sich nicht nur auf die Bedürfnisse einiger weniger erstrecken. Vielmehr können wir doch nur konsequent von Wirksamkeit sprechen, wenn wir unseren Blick systemisch heben und andere Menschen mitdenken, die heute bereits leben oder erst noch geboren werden. Eine produktive Wirksamkeitsdebatte braucht ein differenziertes Nachdenken und Abwägen von Bedürfnissen.

Quellen

  • Hauff, Volker. Unsere gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung. Eggenkamp 1987.
  • Maslow, Abraham H. Motivation und Persönlichkeit. Rowohlt 1981, 13. Auflage 2014.
  • Max-Neef, Manfred A. Human Scale Development. Conception, Application and further Reflections. The Apex Press 1991.

Anmerkungen

* Duden, abgerufen am 24.1.2023:
https://www.duden.de/rechtschreibung/Wirksamkeit

** Max-Neef 1991, S. 18.
Er nutzt im englischen Original übrigens diese deutschen Begriffe.