Wie viele Ziele sollte ich gleichzeitig verfolgen?

Unternehmerische Ziele helfen, Fokus zu erzeugen. Doch wie viele Ziele sollte eine Organisation gleichzeitig verfolgen? Wie findet man die richtige Balance?

Verfolgt man zu viele Ziele gleichzeitig, erreicht man keines davon. Deshalb gibt es in verschiedenen Büchern und Frameworks immer wieder den Ratschlag, sich auf wenige Ziele zu konzentrieren.

»The One Thing« von Gary Keller spricht wenig überraschend von einem Ziel, 4 Disciplines of Execution (McChesney, Covey & Huling) von 1-2 Wildly Important Goals und im OKR-Framework findet sich die Empfehlung für 3-5 Objectives pro Zyklus. Andere Methoden wie z.B. Management by Objectives von Peter Drucker or Hoshin Kanri gehen darauf nicht tiefer ein.

Es ist nachvollziehbar, dass es keine konkrete Empfehlung geben kann, da der Kontext je nach Unternehmen und Ziel immer unterschiedlich ist. Nichtsdestotrotz nehmen wir in der Praxis immer wieder intensive Debatten darüber wahr, wie viele Ziele (oder relevante Projekte) ein Unternehmen gleichzeitig verfolgen kann. Im schlimmsten Fall wird gar nicht darüber nachgedacht.

Denn eines ist klar: Je mehr Ziele ich verfolge, desto ineffektiver wird die Arbeit daran. Schaffe ich keine Konzentration innerhalb meiner Organisation auf wenige, relevante Ziele, stehen sich die Menschen gegenseitig im Weg und es werden kaum Fortschritte erzielt.

effektivität-ziele
Mit steigender Anzahl der Ziele sinkt die Effektivität. Die Frage ist nur: Was ist die richtige Balance?

Wann verlieren wir Effektivität?

Die Frage nach Effektivität ist viel zielführender als die nach der Anzahl der Ziele. Ein Kunde von uns hatte sich z.B. das Ziel gesetzt, innerhalb von drei Monaten rund 10.000 Kunden auf ein neues Preismodell umzustellen. Daneben konnte kein anderes Ziel mehr effektiv verfolgt werden. In anderen Szenarien mit weniger zeitintensiven Zielen sind mehrere Ziele durchaus denkbar.

Basierend auf unseren praktischen Erfahrungen sind drei Fragen entscheidend für die Effektivität:

  • Haben wir ausreichend Kapazitäten und Ressourcen, um an dem Ziel zu arbeiten?
  • Wie komplex bzw. unvorhersehbar ist das Ziel?
  • Wie viele natürliche Wartezeiten gibt es?

Die Antworten auf diese drei Fragen helfen uns abzuschätzen, ob wir mit der Anzahl der gewählten Ziele Gefahr laufen, ineffektiv zu werden.

Haben wir ausreichend Kapazitäten & Ressourcen?

Um wirkungsvoll und fokussiert an einem Ziel arbeiten zu können, muss sichergestellt sein, dass die notwendigen Kapazitäten und Ressourcen verfügbar sind. Die Arbeit wird ineffizient, wenn viel Wartezeit entsteht, weil beispielsweise die Grafikabteilung erst in zwei Wochen Zeit hat, jetzt aber der Flyer erstellt werden muss, um die Kommunikation mit der Zielgruppe zu starten. Wartezeit kann auch entstehen, wenn eine Maschine nicht verfügbar ist oder Budgets nicht freigegeben werden.

Je mehr Ziele eine Organisation verfolgt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für diese Kapazitäts- und Ressourcenkonflikte. Ebenso kann ein anspruchsvolles operatives Geschäft die Möglichkeiten verringern, mehrere Ziele parallel zu verfolgen.

Entscheidend ist nicht nur, ob generell Zeit vorhanden ist, sondern ob sie auch zum richtigen Zeitpunkt verfügbar ist. Eine Grafikerin kann mit Blick auf den Monat generell ausreichend Kapazitäten für drei Ziele haben. Wenn dann allerdings alle Anfragen erst in der letzten Woche eingehen, kann sie trotzdem zum »Engpass« werden.

Wie Kapazitäten auf wundersame Weise entstehen oder verschwinden

»Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Menschen die Sehnsucht nach dem weiten endlosen Meer.« – Antoine de Saint-Exupéry.

Verstehen die Menschen in der Organisation den Zweck hinter dem Ziel und sind sie motiviert daran zu arbeiten, werden sie automatisch mehr Zeit darüber aufbringen. Sind sie hingegen nicht von der Relevanz des Ziels überzeugt oder fällt es ihnen schwer, konkret daran zu arbeiten, werden sie (unterbewusst) zu anderen Tätigkeiten tendieren.

Es lohnt sich also Zeit und Energie in die Kommunikation des Ziels zu stecken als auch auch die Motivation der Mitarbeitenden im Blick zu behalten.

Wie können wir Engpässe erkennen?

Sofern das Ziel recht klar ist, weil etwas Bekanntes erneut umgesetzt wird (siehe EIN-Framework), fällt uns die Kapazitätsplanung sicherlich leichter. Problematisch wird es, wenn sich die Arbeit an den Zielen nicht genau vorhersagen lässt (siehe 2. Fragestellung). Wir werden schlichtweg mit unvollständigen Informationen arbeiten müssen. Trotzdem können wir eine Annäherung vornehmen, um die gröbsten Fehler zu vermeiden.

Folgende Fragestellungen sollten daher bearbeitet werden, bevor Ziele verabschiedet werden:

  • Welche Teams/Abteilungen werden für die angedachten Ziele benötigt?
  • Betrifft dies nur einzelne Personen oder die gesamte Gruppe?
  • Gibt es Überschneidungen mit anderen Zielen?
  • Wie hoch ist die erwartete Arbeitslast für die jeweiligen Personen/Gruppen?
  • Wie stark sind die Personen/Gruppen im operativen Geschäft eingebunden?
  • Wie sieht die Arbeitslast voraussichtlich in den kommenden Wochen aus?
  • Welche Ressourcen brauchen wir für die Arbeit am Ziel?
  • Inwieweit können wir diese Ressourcen jetzt bereits zusichern?

Mit einem unserer Kunden haben wir eine sehr einfache Kapazitätsplanung auf Wochenbasis erstellt. Dazu haben wir drei DIN-A4-Blätter (für drei Monate) mit Linien geviertelt und die betroffenen Mitarbeitenden gebeten, mit Post-its in die jeweilige Zelle die erwarteten Themen pro Woche einzutragen. Dies reichte oft schon aus, um Probleme zu identifizieren bzw. die Diskussion sinnvoll zu strukturieren.

Einfache Kapazitätsplanung zur Koordination
Eine einfache Wochenübersicht, um die anfallende Arbeit zu antizipieren.

Wichtig ist: Es geht nicht darum, eine extrem zeitintensive Detailplanung vorweg zu machen, sondern mit überschaubarem Zeiteinsatz eine bessere Einschätzung zu gewinnen, ob ausreichend Kapazitäten (zum richtigen Zeitpunkt) vorhanden sind.

Wie komplex bzw. unvorhersehbar ist das Ziel?

Je komplexer ein Ziel ist, desto weniger können wir vorausschauend planen. Wir wissen nicht, wie hoch der Zeiteinsatz sein wird, wann wir wie zu einer Lösung kommen oder welche unbekannten Probleme auftreten werden. Derartige Ziele sind nicht nur Zeitfresser für die beteiligten Menschen, sie beanspruchen auch eine hohe mentale Kapazität (Mental Load).

Um wirklich wirkungsvoll an komplexen Zielen zu arbeiten, brauchen wir Menschen, die sich darauf konzentrieren können. Eine detaillierte Kapazitätsplanung ist hierbei nicht möglich. Zur Zielbearbeitung werden meist crossfunktionale Teams eingesetzt, die Erfahrung im Umgang mit Komplexität haben (siehe EIN-Framework).

Entsprechend sollte bei komplexen Zielen darauf geachtet werden, dass keine konkurrierenden Ziele (oder Aktivitäten) dieselben Menschen betreffen, die daran arbeiten. Andernfalls wird es kaum zu einer effizienten Bearbeitung des Ziels kommen.

Komplexität und Planungssicherheit
Mit steigender Komplexität sinkt die Planungssicherheit. Entsprechend sollten möglichst wenige komplexe Ziele gleichzeitig verfolgt werden.

Woran erkenne ich Komplexität?

Typischerweise können komplexe Ziele anhand folgender Faktoren erkannt werden:

  • Die Organisation (oder externe Experten) haben keine fertige, verlässliche Lösung für die Problemstellung.
  • Es gibt widersprüchliche Ideen oder Lösungsansätze, bei denen unklar ist, welche wirklich zum Erfolg führt.
  • Es gibt verschiedene Annahmen, die nicht verifiziert sind.
  • Es ist zu erwarten, dass neue Probleme bei der Arbeit an dem Ziel entdeckt werden.
  • Während der Bearbeitung entwickelt sich die Situation eigendynamisch weiter.

Je stärker diese Faktoren ausgeprägt sind, desto komplexer ist das Ziel.

Wichtig ist hierbei noch zu verstehen, dass sich die initiale Bewertung des Ziels über den Bearbeitungszeitraum durchaus verändern kann. Es ist möglich, dass eine Problemstellung sowohl viel komplexer ist als initial eingeschätzt (magenta Linie), gleichbleibend komplex ist (schwarze Linie) als auch zunehmend klarer wird (blaue Linie).

Unterschiedlicher Verlauf von Komplexität
Die wahrgenommene Komplexität eines Ziels kann sich im Verlauf verändern.

Ein gutes Beispiel hierfür ist die Entwicklung eines neuen Produkts: Gerade zu Beginn gibt es viele Annahmen und Unbekannte. Mit zunehmender Bearbeitung gewinnt das Team allerdings mehr Erkenntnisse über die Zielgruppe, den Markt und etwaige Lösungswege, sodass die nächsten Schritte klarer werden.

Wie viel natürliche Wartezeiten gibt es?

Wenn wir Menschen vermitteln, dass es besser ist, sich auf wenige Ziele zu konzentrieren, entsteht häufig die Rückfrage, was sie denn mit der Zeit tun sollen, wenn sie auf etwas warten müssen. »Lean Management«-Logiken zufolge ist es in diesen Momenten im Zweifel besser, nichts zu tun, als etwas Neues anzufangen. Unweigerlich wird sonst das Neue wiederum mit dem bereits Begonnenen kollidieren, sobald daran wieder gearbeitet werden kann.

Grundsätzlich hat dieses Prinzip seinen Wert. In der Realität gibt es aber durchaus Situationen, in denen das irreführend sein kann. Beispielsweise stellt eine Architekturfirma einen wichtigen Antrag für eine Baugenehmigung und weiß, dass die zuständige Behörde mindestens drei Monate für eine Antwort brauchen wird. Soll diese Firma nun innerhalb der nächsten Monate kein zusätzliches Ziel verfolgen? Auch die Möglichkeiten, die Wartezeiten zu reduzieren, sind in diesem Fall eher theoretischer als praktischer Natur.

Es ist daher ratsam, über »natürliche« Wartezeiten nachzudenken. Je mehr wir davon im Zusammenhang mit einem Ziel erwarten und je länger diese dauern, desto eher wird es zusätzliche, freie Kapazitäten für andere Ziele geben. Wir sollten uns daher fragen:

  • Auf welche externen Parteien sind wir bei der Bearbeitung des Ziels angewiesen?
  • Wie schnell erwarten wir Antworten bzw. Lieferungen von diesen Parteien?
  • Gibt es Prozesse, die lange dauern und auf die wir warten müssen (z.B. die Produktion eines physischen Produkts)?
  • Können wir dies beschleunigen oder müssen wir damit leben?

Entscheidend ist, hierbei nicht zu sehr in die Ressourcen-Optimierung zu gehen. Es geht nicht darum, die gelegentliche Tageslücke mit anderen Zielen zu füllen oder die 2-3 noch frei verfügbaren Stunden in der Woche zu nutzen. Nichtsdestotrotz können natürliche Wartezeiten ein gutes Indiz dafür sein, dass ein weiteres Ziel bearbeitet werden kann, ohne zu große Einbußen bei der Effektivität und Effizienz zu erzeugen.

TL;DR

Die Frage nach der idealen Anzahl gleichzeitiger Unternehmensziele lässt sich nicht pauschal beantworten. Stattdessen sollten drei kritische Faktoren geprüft werden, um die eigene Effektivität nicht zu gefährden:

  1. Ressourcenverfügbarkeit: Stehen die benötigten Kapazitäten und Ressourcen zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung? Eine grobe Kapazitätsplanung hilft, Engpässe zu vermeiden.
  2. Komplexitätsgrad: Je komplexer und unvorhersehbarer ein Ziel ist, desto mehr fokussierte Aufmerksamkeit braucht es. Bei hoher Komplexität sollten konkurrierende Ziele vermieden werden.
  3. Natürliche Wartezeiten: Lange, unvermeidbare Wartezeiten (z.B. behördliche Genehmigungen) können für die Verfolgung weiterer Ziele genutzt werden.

Der Fokus sollte nicht auf einer bestimmten Anzahl von Zielen liegen, sondern darauf, ob diese effektiv verfolgt werden können. Je mehr parallele Ziele, desto höher das Risiko von Ineffizienz.

Quellen

  • Drucker, Peter F., The Practice of Management (English Edition). S.121f Management by Objectives and Self-Control. HarperCollins
  • McChesney, Chris; Covey, Sean; Huling, Jim. The 4 Disciplines of Execution: Achieving Your Wildly Important Goals (English Edition). Free Press
  • Doerr, John. Measure What Matters: The Simple Idea that Drives 10x Growth (English Edition). Penguin Books Ltd.
  • Keller, Gary. The One Thing: The Surprisingly Simple Truth Behind Extraordinary Results. John Murray Press. Kindle-Version.
  • Modig, Niklas; Åhlström, Pär. This is Lean: Resolving the Efficiency Paradox (English Edition) . Rheologica Publishing.
  • Leopold, Klaus; Kaltenecker, Siegfried. Flight Levels: Organisationen mit Business-Agilität führen. dpunkt.verlag