Lasst uns Gewohnheiten teilen. Wie wir gemeinsam im Team Ziele erreichen
Gemeinsam an einem Ziel zu arbeiten klingt einfacher, als es tatsächlich ist. Menschen sind individuell geprägt – durch ihre Erfahrungen, Werte und Persönlichkeiten. Doch genau diese Unterschiede machen die Zusammenarbeit herausfordernd. Damit Teams erfolgreich sind, brauchen sie mehr als nur ein gemeinsames Ziel: Sie brauchen Vertrauen, klare Strukturen und effektive Gewohnheiten. Wie aber lassen sich solche Gewohnheiten etablieren, um nachhaltig produktiv und harmonisch zusammenzuarbeiten?
Trotz einer genetischen Übereinstimmung von bis zu 99,9 % gibt es doch erhebliche Unterschiede zwischen uns – sei es in Körpermerkmalen, Charaktereigenschaften oder Risikobereitschaft.[1] Diese Unterschiede sind nicht nur biologisch bedingt, sondern entstehen auch durch äußere Einflüsse wie Erziehung, Kultur oder Bildung. Erfahrungen, Wohlstand und individuelle Prägungen formen unseren Charakter und beeinflussen unsere Fähigkeiten sowie unsere beruflichen Entscheidungen. Während das Grundgesetz die Gleichheit aller Menschen betont, zeigt sich im Alltag, wie vielfältig wir sind.
Gerade diese Vielfalt macht die Zusammenarbeit so wertvoll, aber auch herausfordernd. Eigentlich könnte man meinen, dass es völlig ausreichend sein sollte, wenn wir uns auf ein gemeinsames Ziel konzentrieren. Und doch drehen sich zahlreiche Debatten und Modelle zum Teambuilding genau um diese Unterschiede im Team und was wir machen können, um Menschen um ein Vorhaben zu vereinen und auf ein gemeinsames Gelingen auszurichten.
Teams brauchen Zeit zu wachsen
Patrick Lencioni, Michael Lombardo und Robert Eichinger betonen, wie wichtig das gegenseitige Vertrauen ist. Letztere stellen zusammen mit Katzenbach und Smith heraus, dass es aber auch die richtigen Fähigkeiten im Team braucht.
Der Psychologe Bruce Tuckman untersuchte bereits 1965 in einer Meta-Analyse Gruppenentwicklungsprozesse und identifizierte vier Entwicklungsstufen.[2] In der ersten Phase, dem Forming, testen neue Gruppenmitglieder ihr Verhalten und erkunden Grenzen – sowohl in Bezug auf Aufgaben als auch im zwischenmenschlichen Bereich, inklusive der Beziehung zu Vorgesetzten. In der zweiten Phase, dem Storming, treten erste Konflikte auf, da Mitglieder den Einfluss der Gruppe auf ihre Aufgaben und Anforderungen hinterfragen. Diese Phase ist oft durch Polarisierungen und Widerstände geprägt.
Sobald diese Spannungen überwunden sind, beginnt die Norming-Phase, in der ein Zusammengehörigkeitsgefühl entsteht. Persönliche Meinungen werden offener geäußert, Rollen klarer definiert und gemeinsame Regeln für die Zusammenarbeit festgelegt. Diese Phase bildet die Grundlage für eine effektive Teamdynamik und eine konstruktive Arbeitsweise, die schließlich in der Performing-Phase erreicht wird.
Uns allen ist klar: Wir brauchen eine Klärung untereinander und das Gefühl, uns aufeinander verlassen zu können, unterstützt zu werden, wenn es darauf ankommt. Aber wir brauchen auch das Wissen darum, wie Entscheidungen getroffen und wie Aufgaben verteilt werden.
Grundlagen schaffen mit Working Agreements
Working Agreements, also die Verschriftlichung von Best Practices, um die Zusammenarbeit zu verbessern und Erwartungen transparent zu machen sind eng mit agilem Arbeiten und speziell der Scrum Methodik verbunden, die in den frühen 1990er Jahren von Ken Schwaber und Jeff Sutherland entwickelt wurde.[3]
Was macht ein gutes Working Agreement aus? Es definiert klare Richtlinien und Verhaltensweisen. Das sind Arbeitszeiten und Verfügbarkeiten, aber auch die Festlegung von Kommunikationskanälen, -zeiten und -stilen. Welche Rollen werden mit welchen Verantwortlichkeiten geschaffen? Es geht aber auch um Arbeitsmethoden und Tools. Und nicht zuletzt um gemeinsam geteilte Werte. Vor allem aber sollte ein gutes Working Agreement anpassbar und flexibel sein. Um den sich ändernden Bedürfnissen des Teams gerecht zu werden, sollte es regelmäßig überprüft und angepasst werden.
Damit Teams gut funktionieren und ihre Ziele erfüllen können, braucht es also die regelmäßige Auseinandersetzung darüber, wie ein gutes Miteinander gestaltet werden kann. Die Tuckman’sche Normierung ist also weniger eine einmalige Phase, sondern eher ein iteratives sich aufeinander einlassen und weiterentwickeln.
Mit Ritualen Bergauf-Gewohnheiten etablieren
Mit Hilfe des Working Agreements definieren wir Zusammenkünfte. Also Rituale, wann und zu welchem Zweck wir uns zusammenfinden. Wir etablieren dabei neue Gewohnheiten. Und das ist prima, denn so schaffen wir Automatismen und müssen über vieles nicht mehr nachdenken oder immer wieder verhandeln.
Das Scrum-Framework kennt eine ganze Menge von solchen Ritualen oder Gewohnheiten, wie z.B. die Meeting-Formate Daily, Planning, Retrospektive und Review. Aber auch die Sprint-Länge oder wie wir die Größe von anstehenden Aufgaben bewerten. Dabei kennt nicht nur Scrum, sondern auch Methoden wie Kanban oder eXtreme Programming zahlreiche Praktiken und Rituale.
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Wir alle leben in und mit zahlreichen Gewohnheiten – vieles ist uns dabei gar nicht bewusst. Der bekannte Verhaltensforscher B.J. Fogg unterscheidet unter anderem:
- Bergauf-Gewohnheiten: Diese müssen konstant gepflegt werden, sind aber leicht abzustellen. Ein Beispiel dafür ist es regelmäßig joggen zu gehen.
- Bergab-Gewohnheiten: Diese sind leicht aufrechtzuerhalten, aber schwer abzustellen. Ein Beispiel hierfür ist die Tüte Chips abends vor dem Fernseher.
Was wir im Team wollen, um unsere Ziele zu erreichen, sind also jede Menge Bergauf-Gewohnheiten. Und jetzt meine ich „jede Menge“ wortwörtlich. Es ist gut, sich regelmäßig zu Dailys oder Jour Fixes zu treffen. Besser ist es, die Zeit dazwischen gut gemeinsam nutzen zu können. Aber wie machen wir das?
Gute Gewohnheiten schaffen und etablieren
Das Behavior Design nach B.J. Fogg unterscheidet sieben verschiedene Schritte, die sich auch in Gruppen gut in Workshops durchlaufen lassen.
- Formulieren Sie Ihr Bestreben.
- Sammeln Sie geeignete Verhaltensweisen.
- Ermitteln Sie die für sie passenden Verhaltensweisen.
- Fangen Sie klein an.
- Finden Sie einen passenden Auslöser.
- Feiern Sie Ihren Erfolg.
- Reflektieren: Probleme lösen, Variieren und Erweitern
Ein Beispiel aus der Praxis. Ein Team will die nächste Generation seines Produktes entwickeln. Gleichzeitig muss es aber den Support für sein noch aktives und genutztes Produkt sicherstellen. Der Support droht zu einer Bergab-Gewohnheit zu werden, da alle lieber am Neuen mitarbeiten wollen.
Es wird also eine neue Gewohnheit gesucht, Kunden-Tickets zeitnah zu bearbeiten. Nachdem das Bestreben formuliert wurde, sammelt das Team Verhaltensweisen. Hier geht es in geübter Brainstorming-Manier darum, möglichst viele Ideen zu sammeln. Nichts wird hier bewertet, es wird nur gesammelt.
Anschließend geht es darum, passende Verhaltensweisen auszuwählen. B.J. Fogg hat hierfür ein Fokus-Schema entwickelt. Auf der Y-Achse finden sich sehr effektive (oben) bzw., wenig effektive (unten) Verhaltensweisen. Die X-Achse bildet die Machbarkeit ab. Links: Nein, das schaffen wir nicht. Und rechts: Ja, dazu können wir uns bringen.
Im ersten Schritt stellen alle Teammitglieder nacheinander ihrer Karten vor und bringen sie auf dem Fokus-Schema an. Im nächsten Schritt tritt einer nach dem anderen vor und verschiebt je eine Karte nach oben oder nach unten, je nachdem wie effektiv sie oder er die Verhaltensweise findet. Hier braucht es etwas Geduld von der Moderation, doch nach einigen Durchgängen ergibt sich dann ein Bild. Im letzten Schritt geht es um die Machbarkeit. Wieder tritt einer nach dem anderen vor und verschiebt die Karte seiner Wahl entweder nach rechts oder nach links.
In unserem Fall hatte sich das Team schließlich darauf geeinigt, dass sich täglich eine Teilgruppe nach dem Daily zusammensetzt, die neuen Tickets durchgeht und gemeinsam die Arbeit verteilt. Schon nach kurzer Zeit hatte sich die neue Gewohnheit eingeschliffen und zeigte erste Erfolge bei der Geschwindigkeit der Bearbeitung.
Nach einer ersten Reflexion wurde die Gewohnheit erweitert. Ab jetzt wurde geschaut, ob Tickets allein oder in einem Paar bearbeitet werden sollten, um Wissen zu verteilen und mehr Menschen in der Bearbeitung der verschiedenen Fälle sicherer zu machen. Denn es geht nicht darum, im ersten Schritt den perfekten Wurf zu machen, sondern klein mit einer neuen Gewohnheit anzufangen und ein lernendes System zu schaffen, dass sukzessive Verbesserungen schafft, indem weitere kleine Gewohnheiten zu den bestehenden addiert werden können.
tldr;
Team-Mitglieder sind Menschen. So individuell wir ausgeprägt und aufgewachsen sind, so gleich sind wir in der Ausprägung von Gewohnheiten. Agile Methoden wie Scrum fördern durch Working Agreements klare Regeln und flexible Zusammenarbeit. Neue Gewohnheiten, sogenannte „Bergauf-Gewohnheiten“, helfen Teams, ihre Ziele nachhaltig zu erreichen. B.J. Foggs Behavior Design bietet dafür ein siebenstufiges Vorgehen: von Zieldefinition über Verhaltensauswahl bis zur Reflexion. So entstehen kontinuierliche Verbesserungen im Teamalltag. Kollaboration wird so zu etwas sehr Konkretem und Erfahrbaren. Und trägt somit entscheidet zur Zielerreichung bei.
Quellen
- Fogg, Dr. B.J. Die Tiny Habits®-Methode: Kleine Schritte, große Wirkung. Btb 2021.
- Tuckmann, Bruce W. Developmental sequence in small groups. Veröffentlicht in Psychological bulletin am 1. Juni 1965.
Anmerkungen
[1] mdr Wissen: Stimmt: Alle Menschen auf der Welt zu 99 Prozent gleich. Abgerufen am 31.01.2025: https://www.mdr.de/wissen/faktencheck/faktenchcheck-mensch-100.html
[2] 4 Modelle zur Verbesserung der Teameffektivität. Abgerufen am 31.01.2025: https://asana.com/de/resources/team-effectiveness
[3] Ein Team Working Agreement Canvas kann hier heruntergeladen werden: Abgerufen am 04.02.2025: https://www.scruminc.com/team-working-agreement-canvas/ Es wurde von der Firma scruminc entwickelt, die von Scrum-Erfinder Jeff Sutherland gegründet wurde.