Aus der Praxis: Warum OKRs manchmal weh tun

Viele Organisationen, die agil arbeiten wollen, nutzen zurzeit OKRs. Das Framework soll Unternehmen helfen, fokussierter zu handeln. In der Praxis wird dieses Ziel aber häufig verfehlt. Der Prozess wirkt bürokratisch und es kommen (berechtigte) Zweifel am Nutzen auf. Warum ist das so und wie lässt sich das verhindern?

Das OKR-Framework ist ambivalent: Es beinhaltet verschiedene Aspekte, die sich sowohl positiv als auch negativ auswirken können. Wie so oft, ist ein erfolgreicher Einsatz nur möglich, wenn die Grenzen und Hintergründe der Methodik klar sind und differenziert angewendet werden.

Ein Versuch, ein besseres Verständnis über ausgewählte OKR-Eigenschaften zu schaffen:

1. OKRs synchronisieren eine gesamte Organisation

Es klingt wie ein sehr positives Versprechen: Die gesamte Organisation weiß, welche Ziele dem Unternehmen wichtig sind und leiten sich Team- oder abteilungsspezifische Subziele ab. Nach einer kurzen Phase der Abstimmung und Planung kann fokussiert und gemeinsam gearbeitet werden. Ressourcenkonflikte waren einmal.

Tatsächlich können Ziele wunderbar miteinander konkurrieren oder sich sogar blockieren. OKRs helfen hier methodisch wenig bis gar nicht, weil sie (im Framework) keinen Planungsprozess beinhaltet – schon gar nicht eine Kapazitätsplanung. Hinzu kommt das Alltagsgeschäft, das teils unerwartet viel Aufmerksamkeit frisst.

Abhängigkeiten in einem Unternehmen werden durch die OKRs im besten Fall durch scheiternde Ziele sichtbarer gemacht, nicht aber aufgelöst.

Es stellt sich auch die Frage, ob die Synchronisation einer gesamten Organisation überhaupt wünschenswert ist. Wenn bestimmte Abteilungen, Bereiche oder Teams weitestgehend unabhängig voneinander agieren können, warum müssen sie sich dann zeitgleich ungefähr gleich große Ziele setzen? Wenn ein Team z.B. mehr darauf aus sein, Neues zu entdecken und ein anderes die Effizienz zu steigern, dann erscheint es nicht sinnvoll, beide in dasselbe Zielkorsett zu drücken.

2. OKRs sind flexibel durch dreimonatige Zyklen

OKRs sollen mit einer Jahres- und einer Quartalsvariante in Unternehmen gelebt werden. Die Jahresziele machen das große Ganze klarer und schaffen Stabilität, die Quartalsziele schaffen Flexibilität und ermöglichen Lernzyklen zu implementieren. Das Timeboxing verhindert, zu lange in die falsche Richtung zu arbeiten. Bei Zielen unterhalb eines Quartal ist meist nicht genug Zeit da, um etwas Relevantes zu erreichen – und außerdem ist der Abstimmungsprozess der OKRs einmal pro Quartal aufwendig genug. Klingt doch überzeugend, oder? 

Timeboxing ist eine gute Methodik, wenn Unsicherheit über das gewünschte Ergebnis oder die Lösung besteht. Nur hat niemand vorgeschrieben, dass drei Monate der einzig sinnvolle Zeitrahmen ist.

Für manche Ziele ist ein längerer Zeitraum angebrachter, für andere ein kürzerer. Anstatt aber zu schauen, welcher Zeithorizont inhaltlich sinnvoll ist, wird bei den OKRs häufig alles in das 3-Monatsgerüst gesteckt. Das Ziel wird also auf die Zeit angepasst, anstatt die Zeit auf das Ziel. Oder noch schlimmer, es wird ein Ziel gesucht, um drei Monate Aktivitäten zu rechtfertigen. Der Inhalt ist nicht mehr wichtig, sondern nur die Form.

Es ist richtig und wichtig, regelmäßig zu prüfen, ob ein Ziel noch verfolgt werden soll. Dies kann z.B. alle zwei Wochen geschehen, ohne dass jedes Mal ein neues Ziel formuliert werden muss. Wenn ein Team nach 48 Tagen sein Ziel bereits erreicht hat, warum sollte es dann weitere anderthalb Monate warten müssen, bis es ein neues Ziel formuliert? Auch hier ist der Wunsch und Drang nach einem einheitlichen Rhythmus einer gesamten Organisation im Zweifel kostspielig.

3. Es ist wichtig, transparente & klare Ziele zu haben

Gute OKRs schaffen Klarheit, Fokus und Transparenz. Sie gut zu formulieren, impliziert allerdings eine gewisse inhaltliche Sicherheit. Ist ein Team oder ein Unternehmen in einer inhaltlichen Findungsphase, lassen sich klare, gute Ziele kaum formulieren. John Cutler schrieb auf Twitter sehr zutreffend:

Meist merkt man es Teams oder Abteilungen bei den OKR-Formulierungen an, wenn eine zu große inhaltliche Unsicherheit besteht. Dann kommen meist sehr vage Objectives und Key Results heraus. Meist gibt es dann diverse Korrekturschleifen über die Formulierungen, die aber alle auf dem gleichen, quasi nicht vorhandenen Wissenstand basieren.

Anstatt aber die offenen Fragestellen systematisch zu bearbeiten und möglichst schnell zu lernen, wird krampfhaft versucht ein Ziel für 3 Monate von etwas Unbekanntem zu formulieren. Das ist am Ende mehr Werte vernichtend als stiftend.

Und nun?

OKRs sind ein Framework, um in einer gesamten Organisation mit kaskadierenden Zielen zu arbeiten. Dafür sind sie gut. Sie lösen aber nicht andere Probleme eines Unternehmens magisch auf, sondern diese benötigen eine separate Bearbeitung. Wer das Ziel hat, einen Marathon zu laufen, allerdings nie Zeit zum Trainieren hat, wird über gut formulierte Key Results auch nichts erreichen.

Bedeutet im Umkehrschluss, die von den OKRs sichtbar gemachten Schmerzen ernst zu nehmen und im Zweifel zunächst Ziele zu fassen, die genau diese adressieren. Also z.B. Abhängigkeiten (wo sinnvoll) reduzieren, wenn sie den strategischen Zielen im Weg stehen oder bewusst Teams von einem fixen OKR-Zyklus befreien, bis eine inhaltliche Sicherheit hergestellt ist.

OKRs sind ein Werkzeug. Sie können situativ nützlich oder unnütz sein. Gönnen Sie sich den Mut, ein bereits etabliertes Framework in bestimmten Situationen auch mal sein zu lassen oder – mit gewisser Vorsicht und ausreichender Erfahrung – für Ihre Zwecke anzupassen.