Wenn die Strategie nicht umgesetzt wird

Mühsam entwickelte Strategien werden meist nie umgesetzt. Woran liegt das und welche Konsequenzen hat das für die Strategiearbeit? Ein kleines Plädoyer dafür, zunächst aufzuräumen.

Ich bin kürzlich in »Patterns of Strategy« von Patrick Hoverstadt und Lucy Loh über folgende Aussage gestolpert, die die beiden auf einer internationalen Management Konferenz von einem Keynote Speaker aufgegriffen haben: »around 90% of strategic plans are not implemented.« (1) Auch Richard Rumelt weist auf ein ähnliches Problem hin: »Executives who complain about “execution” problems have usually confused strategy with goal setting.« (2)

Nur warum werden Strategien so häufig nicht umgesetzt? Aus Sicht von Hoverstadt und Loh ist das sogenannte »structual coupling« der wesentliche Treiber für Aktivitäten einer Organisation und nicht die entwickelte Strategie. Demnach vernetzt sich eine Organisation im Laufe der Zeit mit seinem Marktumfeld (Zulieferer, Kunden, Wettbewerber etc.), sodass es gezwungen ist, auf Änderungen zu reagieren.

structual coupling
»Structual Coupling«-Darstellung von Hoverstadt & Loh (3). Aus Sicht der beiden Autoren der Grund dafür, warum Strategien in Unternehmen nicht verfolgt werden.

In der Praxis kann sich das so vorstellen:

  • Ein wichtiger Zulieferer hat einen neuen Bestell- und Abnahmeprozess entwickelt.
  • Ein wichtiger Kunde fordert zukünftig eine DIN-Norm ein, um weiter die Produkte zu beziehen.
  • Der Gesetze für den Datenschutz wurden überarbeitet (oder z.B. durch Richterbeschlüsse klarer interpretiert).
  • Ein Wettbewerber startet eine neue Offensive und bietet seine Produkte nun in 10 verschiedenen Farben an.

Bei derartigen Ereignissen erscheint es nachvollziehbar, dass ein Unternehmen reagieren muss und somit womöglich wenig Kapazitäten für andere Handlungen hat.

Zu viele Projekte gleichzeitig, zu wenig Platz für Strategie

Es sind aber oftmals nicht nur externe Dynamiken, die ein Unternehmen zu beschäftigt halten, um die strategischen Handlungen konsequent umzusetzen. Häufig steht sich die Organisation selbst im Weg, weil zu viele Initiativen mit undefiniertem Wert und ungeklärter Priorität parallel angegangen werden. Der Effekt: Es wird mehr darauf gewartet (oder in frustrierenden Meetings koordiniert), dass Kapazitäten frei werden oder andere Parteien, die andere »wichtige« Projekte verfolgen, ihren Teil beitragen, anstatt das wirklich gearbeitet wird.

Die oben genannten, extern »aufgezwungenen« Veränderungen dauern entsprechend länger als notwendig und verschlimmern die gefühlte oder tatsächliche Handlungsstarre der Organisation.

Die Kanban- und Lean-Welt kennt daher das Konzept des »Work in Process«-Limits, was definiert, wie viele »Dinge« gleichzeitig in Arbeit sein dürfen, damit das gesamte System nicht verstopft. Und ohne Witz: Wir haben nicht selten bei Unternehmen mit 30-50 Personen eine fast identische Anzahl an in Arbeit befindlichen Initiativen sichtbar gemacht. Heißt also, es gibt so viele Projekte wie Mitarbeitende.

Relevante, konkrete strategische Handlungen zu benennen und in die »Umsetzung« zu geben, ist folglich nicht ausreichend. Es braucht gleichzeitig eine Methodik, um die tatsächliche Arbeit in einer Organisation zu regulieren und zu priorisieren.

OKRs sind allein genommen keine Lösung

Objectives & Key Results sind spätestens seit dem in 2018 erschienen Buch von John Doerr »Measure What Matters« eine gerne angeratene Methode, um strategisch wichtige Handlung in die Umsetzung zu überführen. Und gewiss haben OKRs ihren Charm, wenn es darum geht, Transparenz, Messbarkeit und Fokus von wichtigen Zielen einzuführen. Sie sind nur kein Wunderheilmittel.

Fehlt eine klar Strategie oder sinnvolle Ableitungen aus dieser, entstehen irregeleitete Ziele ohne langfristigen Wert (siehe dazu auch meinen Beitrag über die zwei Ebenen in der Strategie). Sind die Ziele gut gewählt, aber ist die Organisation nicht in der Lage, diese stringent zu verfolgen, sind sie ebenfalls wertlos. Statt »Culture eats strategy for breakfast« (Peter Drucker) ist es hier das Alltagsgeschäft, das die strategischen Handlungen oder die OKR-Erreichung auffrisst.

Was also tun?

Fit werden für strategische Handlungen

»[…] your first strategy should be „stopping self harm“ i.e. fixing doctrine« schrieb Simon Wardley auf Twitter – und hat dabei mehr oder weniger nebenher einen der wichtigsten Punkte der strategischen Arbeit gemacht: Ein Unternehmen muss sich keine Gedanken über große Wettbewerbs- und Marktstrategien machen, wenn es nicht in der Lage ist, diese sinnvoll umzusetzen. In einer solchen Situation gilt zu aller erst wieder steuerungs- und handlungsfähig zu werden.

Wardley’s Doctrine, mittlerweile unterteilt in verschiedene Phasen, beschreibt universell nützliche Eigenschaften, die in einer Organisation ausgeprägt sein sollten. Darunter finden sich z.B. Punkte wie »Know your users«, »think small teams« oder »listen to your ecosystem« die es – sobald man unter die Oberfläche schaut – so richtig in sich haben.

Das Dumme dabei ist: Im Zweifel kostet es viel Energie, dies herzustellen. Entsprechend müssen solche Entwicklungsschritte gut priorisiert werden und stehen wiederum in Konflikt mit den restlichen Aktivitäten einer Organisation.

Wardley Doctrine
Simon Wardley's Doctrine Übersicht in der Phasenvariante von Steve Purkis

Sichten, aufräumen, hart priorisieren

Egal ob es also notwendige Aktivitäten aufgrund des „structual coupling“, abgeleitete Handlungen aus der Strategie, OKRs oder Verbesserungsmaßnahmen sind: All diese Initiativen gilt es abzuwägen und zu priorisieren. Und der erste Schritt dafür ist, diese sichtbar zu machen.

Klaus Leopold, der zunächst als Kanban-Trainer und Autor bekannt geworden ist (und von uns übrigens hier für »Das Perfekte Team« interviewt wurde), hat bereits recht früh in seiner Arbeit zu Kanban das Konzept der Flight Levels entwickelt. Dabei wendet er Teile der Kanban-Logik (Visualisierung der Arbeit, Blockaden behandeln, WIP Limits etc.) auf drei Ebenen an: Strategie, Koordination und operative Arbeit.

Für unsere Problemstellung interessiert uns vor allem die Koordinationsebene. In einem (großen), zu Beginn recht einfach gehaltenem Board wird der Status aller vorhandenen Initiativen erfasst: Was ist geplant, was befindet sich in Arbeit, was wartet auf Feedback, etc.? Die Spalten & Zeilen des Boards können je nach Unternehmen sehr unterschiedlich ausgeprägt sein.

Wenn erst einmal allen Kolleg:innen sichtbar gemacht wird, wie viel »Arbeit« im System drin steckt, wird häufig vielen klarer, warum so vieles lange dauert oder komplett versandet. Als zweiter Effekt kommt meist die Frage auf, was Initiative xy eigentlich ist, wie viel das überhaupt bringt oder wer dafür gebraucht wird. Genau diese Fragestellung ist der erste Ansatzpunkt für das Aufräumen (also Initiativen aussortieren, die keinen Wert versprechen) oder priorisieren.

Beispiel Koordinationsboard
Beispiel eines einfachen Koordinationsboard mit ToDo, Doing, Done-Spalten sowie einer »Warte«-Zeile in der Doing-Spalte.

tl;dr – Was bedeutet das für Strategie?

Wenn strategische Handlungen nicht umgesetzt werden, kann dies drei Gründe haben: 

  1. Die Handlungen sind nicht konkret oder klar genug. 
  2. Die notwendigen Kompetenzen, um die Handlungen durchzuführen fehlen.
  3. Niemand hat ausreichend Zeit für die Umsetzung.

Typischerweise ist fast jede gewachsene Organisation irgendwann Opfer des dritten Grunds. Ein gutes Management und Koordination von Initiativen ist daher eine entscheidende Voraussetzung, um erfolgreich strategisch zu arbeiten.

 

Buchquellen:
(1) Hoverstadt, Patrick; Loh, Lucy. Patterns of Strategy (S.5). Taylor and Francis
(2) Rumelt, Richard. Good Strategy Bad Strategy (S.5). The Crown Publishing Group
(3) Hoverstadt, Patrick; Loh, Lucy. Patterns of Strategy (S.19). Taylor and Francis