Strategie differenziert: Ausrichtung, Leitplanken, Entscheidungen und Handlungen
Was bedeutet Strategie und wie erstelle ich eine? Erstelle ich überhaupt eine oder arbeite ich lieber strategisch? Hinter solchen konfusen Fragestellungen stecken Missverständnisse und der Wunsch nach einfachen Definition. Eine differenzierte Betrachtung hilft, »Strategie« besser zu verstehen.
Sprache ist wundervoll paradox. Ein einzelnes Wort kann viele Informationen vermitteln, insbesondere wenn damit Geschichten verknüpft sind. Wenn einer unserer Kunden von »hektopanisch« spricht, ist uns sofort klar, worauf er anspielt. Sprache kann allerdings auch missverständlich sein. »Umfahren« kann bedeuten, einem Hindernis auszuweichen oder das genaue Gegenteil, also über etwas oder jemanden zu fahren. Besonders schlimm wird es, wenn ein Begriff ein diffus erscheinendes Konzept beinhaltet und keine allgemeingültige Definition zu besitzen zu scheint.
Strategie ist genau so ein Begriff. In der Geschäftswelt begegnen wir ihm ständig: »Wir brauchen eine neue Strategie«, »Dies ist eine strategische Fragestellung« oder »Das müssen wir zunächst einmal strategisch beleuchten« sind nur ein paar Beispiele von Sätzen, die ich häufiger höre. Was die jeweilige Aussage genau meint bzw. welche Folgen sie impliziert, ist fast nie klar.
Ebenso lassen sich hitzige Diskussionen beobachten, welche Form von Strategie die richtige sei: Liegt der Fokus auf tiefgreifenden Analysen, auf einer detaillierten Planung oder auf der effektiven Umsetzung? Welche Zyklen und Zeiträume sind angebracht, um die Strategie zu prüfen oder anzupassen? Soll es überhaupt die »eine Strategie« geben?
Ich maße mir nicht an, eine besonders kluge Definition von Strategie geben zu können. Vielmehr möchte ich die damit verbundene Konfusität reduzieren, indem ich zwei Ebenen von Strategie differenziere und deren Zusammenspiel skizziere. Das ist kein neuartiges Konzept und mit Sicherheit nicht perfekt, aber eine wichtige Voraussetzung, um sich wirksam (ich möchte fast »impactive« sagen) mit dem Thema Strategie auseinanderzusetzen.
Ebene 1: Ausrichtung und Leitplanken
Ich halte es für vergebene Lebensmühe, über strategische Entscheidungen oder Handlungen zu sprechen, wenn eine Organisation sich unklar über ihre Ausrichtung ist. Es entstehen völlig andere Handlungsoptionen, wenn ich mich als Hersteller für luxuriöse Uhren begreife oder möglichst günstige Uhren für Kinder herstellen will. Genauso ist es konfliktreich, andere darin zu beraten, ein passendes Shop-System zu finden und gleichzeitig selbst eins anzubieten.
Ausrichtung hat folglich etwas mit dem eigenen Selbstverständnis zu tun. Sie impliziert inhaltliche Leitplanken, wie z.B. auf welchem Markt und welcher Zielgruppe ich meine Leistungen anbieten will, welche Bedürfnisse ich bedienen möchte und mit welcher Art und Weise ich gedenke dies zu tun.
Vieles in der Strategieliteratur beschäftigt sich genau damit:
- Michael E. Porters Bücher und Artikel über Competitive Strategy oder Strategic Positioning drehen sich um strategische Ausrichtungsfragen eines Unternehmens im Wettbewerbskontext, inklusive Analysemethoden wie sein Five Forces Framework oder Value Chains.
- Playing to Win von A.G. Lafley und Roger L. Martin verfolgt ebenfalls einen ganzheitlichen Ansatz für eine Unternehmung, in dem sie fünf zentrale Entscheidungen trifft (a winning aspiration, where to play, how to win, core capabilities, management systems)
- In dem kürzlich erschienen Buch Patterns of Strategy sprechen die Autoren Patrick Hoverstadt und Lucy Loh bei so etwas von Begriffen wie Doctrine/Policy, Capability/Infrastructure und Grand Strategy.
Die inheränte Schwäche, die diesen Herangehensweisen vorgeworfen wird, ist ihre Tendenz, langwierige Analyseprozesse und fixe Pläne nach sich zu ziehen, die nicht mehr in Frage gestellt werden, selbst wenn in der Realität andere Signale aufkommen. Wenngleich dies eine reale Gefahr ist, die oft in der Praxis zu beobachten ist, bedeutet es nicht, dass die Methoden oder die Frage nach der Ausrichtung sinnlos oder falsch sind.
Dave Snowden von The Cynefin Co. (der unter anderem aus den eben genannten Gründen skeptisch gegenüber solchen Ansätzen ist) spricht in diesem Kontext gerne von »a sense of direction«, was ich für eine treffende Beschreibung halte. Eine Organisation oder Unternehmung muss wissen, ob sie eher links oder rechts lang gehen möchte – und muss verstehen, dass beides gleichzeitig nicht effizient abzubilden ist.
Betrachtungen wie Porters Strategic Positioning, Value Chains oder Fitness helfen, Inkonsistenzen im eigenen Handeln gegenüber der (bewusst oder unbewusst) gewählten Ausrichtung aufzudecken. Wer mit günstigen Preisen bei seinen B2C-Kunden punkten möchte, sollte wahrscheinlich nicht den Vertrieb über einen Außendienst abwickeln, der persönlich bei potentiellen Interessenten vorbeischaut.
Strategische Ausrichtungen können sich selbstverständlich ändern. IBM stellte z.B. einst Computer her und ist heute ein Beratungsunternehmen. Ohne eine gewisse zeitliche Konstanz in der strategischen Ausrichtung wird eine Organisation aber nicht in der Lage sein, effektiv zu operieren. Änderungen sollten folglich nur selten erfolgen, was wiederum bedeutet, dass derartige Entscheidungen nicht leichtfertig getroffen werden sollten.
Ebene 2: Strategische Entscheidungen und Handlungen
Richard Rumelt definiert in seinem Buch Good Strategy, Bad Strategy Strategie wie folgt: »Strategy is a cohesive response to an important challenge.« Hoverstadt und Loh definieren es ähnlich, wenn auch differenzierter: »Strategy for us is about the organisation manoeuvring relative to other organisations to achieve a position where it can thrive, preferably on its own terms.«
»Cohesive response« und »manouevring« machen deutlich, dass für diese Autoren weniger grundsätzliche Ausrichtungsfragen im Fokus stehen, sondern konkrete strategische Entscheidungen und Handlungen. Oder um es mit Rumelts Worten auszudrücken:
»A good strategy includes a set of coherent actions. They are not ‚implementation‘ details; they are the punch in the strategy.«
Diese Strategieebene soll die Ausrichtung mit Leben zu füllen, idealerweise in schnellen iterativen Zyklen, die die Wettbewerber schwindlig machen (siehe John Boyds OODA-Loop). Neu gewonnene Erkenntnisse sollen direkt in die nächsten Entscheidungen einfließen. Ein lang angelegter, steifer Plan wäre töricht.
Klar ist aber auch, wenn ich kein Bewusstsein über eine strategische Ausrichtung habe, können die strategischen Entscheidungen schnell inkonsistent werden und eine Unternehmung in die Schieflage versetzen. Nicht nur einmal habe ich beobachten können, wie ein auf abrechenbare Stunden getrimmter Dienstleister auf die Idee kam, ein zweites Standbein mit einem Produkt aufzubauen, ohne die Folgekonflikte einer solchen Entscheidung für die eigene Ausrichtung und das operative Geschäft zu betrachten.
Im besten Fall lassen sich konkrete, strategische Fragestellungen und Handlungsfelder aus der Ausrichtung ableiten, die auf dieser Ebene zu behandeln sind (»Welche Form von Support würden unsere Kunden erwarten, wenn wir ihnen ein Premiumprodukt verkaufen?«).
Der Vollständigkeit sei noch erwähnt, dass sich Simon Wardleys »Wardley Mapping« in der Praxis bewährt hat, um strategische »Moves« zu identifizieren und zu diskutieren. Wardley liefert über seine Betrachtung der Wertschöpfungskette, der Evolution und der Gameplays diverse Anknüpfungspunkte auf, um kontextspezifisch (und das ist entscheidend) strategische Handlungsoptionen zu entwickeln. Er zeigt als einer der wenigen im Strategiebereich konkret auf, wie es geht und bleibt nicht bei der reinen Beschreibung, was zu tun ist, stehen.
Und nun?
Strategie ein diffuser Begriff in unserem Sprachschatz. Und wie immer, wenn ein Begriff missverständlich ist, lohnt es sich, zunächst ein gemeinsames Verständnis herzustellen. Gemeint ist nicht eine (neue) Definition für den Duden, sondern eine Klärung des Kontexts, um den es geht:
- Sprechen wir über die Ausrichtung unseres Unternehmens?
- Reden wir über eine wichtige Fragestellung, die wir im Einklang mit der unternehmerischen Ausrichtung bringen wollen?
- Stellt eine antizipierte Veränderung unsere gewählte Ausrichtung (Positionierung) grundsätzlich in Frage?
- Stärkt dieser Blog-Beitrag unsere strategische Ausrichtung?
In diesem Sinne: auf hoffentlich nützlichere Strategiegespräche in Zukunft!