New Work in der Zeitarbeit. Wie Plattformen Augenhöhe herstellen

Plattformen sind in der Zeitarbeit mehr als einfach nur digitale Tools, die Arbeitsabläufe optimieren. Sie sind Marktplätze, auf denen Kunden und Servicekräfte ihre Bedürfnisse direkt miteinander aushandeln. Verdrängen Sie bald schon die Disposition und die Personaldienstleister?

Wer in der Gastronomie oder Event-Branche als Servicekraft arbeitet, übt in Deutschland oft einen der schlechtbezahlten Berufe aus. Zwar sind die Leistungen in der Gastronomie nicht wegzudenken von Großveranstaltungen, Messebetrieben und von überall dort, wo es um unser leibliches Wohl geht. Oft braucht es aber nur kurze Schulungen und ein wenig Einarbeitung, um mitwirken zu können. Ein geringes Maß an notwendiger Qualifikation hat weiterhin eine geringe Entlohnung zur Folge – egal wie anstrengend und körperlich fordernd der Job ist.

Beschäftigt werden die Servicekräfte oft in großer Zahl von spezialisierten Personaldienstleistern. Die Auftraggeber selbst halten in der Regel höchstens einen Sockel an Mitarbeitenden im eigenen Anstellungsverhältnis vor, fehlende Kapazitäten werden anlassbezogen hinzugebucht.

Wenn es darum geht für Veranstaltungen ausreichendes und geeignetes Servicepersonal zu finden, führt um die Disposition kein Weg drumherum. Hier laufen die Anfragen der Kunden rein, um verschiedene, offene Positionen zu besetzten. Ab jetzt gilt es im persönlichen Kontakt mit den Mitarbeitenden Einsatzplanungen während der eigenen Arbeitszeit herzustellen. Kommuniziert wird auf allen Kanälen, die schnell und vielversprechend sind. Heutzutage verwalten Disponenten oft eine fast unüberschaubare Anzahl an E-Mails, WhatsApp-Gruppen und weitere Messaging-Diensten.

Die Servicekräfte wiederum erfahren meist erst sehr kurzfristig von ihren Einsätzen. Es fehlt ihnen an mittelfristigen Übersichten, wo sie wann benötigt werden. So kommt es während der Disposition immer wieder zu Verzögerungen, weil Termine abgestimmt, umgebucht und auch privat eingeplant werden müssen. Am Ende sind Servicekräfte dann eben doch nur „Ressourcen“, die irgendwie gemanagt werden müssen, damit der Kundenauftrag erfüllt werden kann. Die Bedürfnisse des Kunden stehen hier klar vor den Bedürfnissen der Angestellten. Augenhöhe zwischen Disponenten und den Servicekräften ist folglich nicht gegebenen.

Von der Digitalisierung zur Plattform-Ökonomie

Im Zuge der Digitalisierung sind viele Werkzeuge auf den Markt gekommen, um die Prozesse rund um die Personaldienstleistung zu optimieren. Neben Messenger-Diensten, Bots und Datenbankprogrammen werden Online-Dienste wie z.B. zvoove und AGIL genutzt, um die Arbeit der Personaldienstleister mit ihren Angestellten zu optimieren. Es geht hier darum Übersicht herzustellen, Daten zentral zu verwalten und Abläufe effizienter zu organisieren. Auf der anderen Seite organisieren Kunden ihre Aufträge und Abläufe mit den Dienstleistern ebenfalls zunehmend über digitale Tools. Über stazzle und InSitu finden Ausschreibungen statt. Verfügbarkeiten sind gleich sichtbar, ein direkter Kontakt zum Dienstleister ist zumindest für eine erste Orientierung nicht mehr notwendig.

Auf der einen Seite finden wir also Tools, die bisherige Abläufe und Prozesse optimieren und automatisieren. Hier wird Übersicht hergestellt und Zeit gespart. Auf der anderen Seite drängen Tools auf den Markt, die das Zeug zu »Game Changern« in der Branche mitbringen. Aber wie genau verändert sich das Spiel?

Zwischen den Mitarbeitenden und den Kunden bieten bisher Personaldienstleister ihre Leistungen an. Sie kennen die Bedürfnisse ihrer Kunden und erfüllen sie, indem sie einen Mitarbeitendenstamm aufbauen und pflegen, den sie bedarfsgerecht anbieten. Genau an dieser Stelle setzten Plattformen wie InStaff, Helpling und SMARTCHILLI an. Diese Plattformen übernehmen hier die Funktion eines Marktplatzes. Sie führen die Kunden- und Mitarbeiterbedürfnisse zusammen und schaffen einen direkten Kontakt, bei dem der Dienstleister an Sichtbarkeit einbüßt und teils drastisch an Funktion verliert. In manchen Fällen übernimmt der Dienstleister noch die Rolle des Arbeitgebers, der seine Mitarbeitenden Kunden überlässt. Bei Helpling wird der Personaldienstleister gar nicht mehr benötigt, da die Servicekräfte selbständig tätig sind und eigene Rechnungen schreiben.

Die Zukunft der Disposition

Was bedeutet das für das Berufsbild des Disponenten? Thorsten Rensing, geschäftsführender Inhaber des Kölner Personaldienstleisters STAFF RENT und der Plattform SMARTCHILLI rechnet vor:

„Nach der Einführung von SMARTCHILLI plant heute eine Stunde Disposition 50 fakturierbare Stunden. Früher waren es im Schnitt 9,5 Stunden.“

Auf sein Geschäftsfeld übertragen heißt das, dass er früher pro fakturierter Stunde 3,05 Euro für die Disposition draufaddieren musste. Heute sind es nur noch 0,55 Euro. Weniger Kosten bedeutet schlicht mehr Gewinn oder einen klaren Wettbewerbsvorteil. Für Disponenten bedeute das allerdings eine enorme Veränderung ihres Berufsbildes. Wenn nicht gar den Wegfall ihrer Stellen.

Aber wieso brechen die Stunden in der Disposition so dramatisch ein? Thorsten beschreibt das am Beispiel des Onboardings. Noch während des Onboardings erhalten die Mitarbeitenden heute Zugriff auf den Marktplatz, in dem Fall SMARTCHILLI, das zwei Drittel seiner Mitarbeitenden täglich und fast alle einmal wöchentlich nutzten. Hier sehen sie alle Veranstaltungen, für die sie die Disposition freigeschaltet hat. Die Veranstaltungen werden vom Kunden selbst eingestellt. Die Disposition hat hier höchstens noch beratende Funktion.

Es folgt das JOB:Dating. Die Mitarbeitenden wischen bzw. swipen jetzt durch alle angebotenen Veranstaltungen, wobei einmal wischen nach links bedeutet, dass sie sich für die Veranstaltung nicht interessieren, sie haben dieses Jobangebot gerade abgelehnt. Mit einem Wisch nach rechts drücken sie ihr Interesse aus und haben für diese Veranstaltungen zugesagt. Es braucht also kein gemeinsames Zeitfenster zwischen der Disposition und den Mitarbeitenden mehr, indem sie Terminpläne aushandeln. Das JOB:Dating gibt allen die Möglichkeit, im eigenen Tempo und dann zu entscheiden, wenn es gerade passt.

Auf dem Weg vom Vorstellungsgespräch nach Hause öffnen die neuen Mitarbeitenden in der Regel bereits ihre neu installierte App und gehen alle für sie freigeschalteten Job-Angebote durch. Zuhause angekommen, steht bereits ihr erster Einsatzplan. Die Disposition haben sie selbst in die Hand genommen. Und bereits abgeschlossen.

„Das Event-Dating ist sexy und die Mitarbeiter nutzen es gerne.“

So Thorsten Rensing in einem Blog-Beitrag. Dass er mit dieser Einschätzung nicht alleine ist, zeigt sich an namhaften Kunden und Partnern wie die LANXESS arena Köln, die Koelnmesse und die Messe Frankfurt. Für seine Kunden bietet die Plattform enorme Vorteile. Die Messe Frankfurt berichtet kurz nach Einführung bereits von 2.500 eingesparten E-Mails auf 100 Mitarbeitenden pro Monat. Bei STAFF RENT spricht Thorsten von 2.400 WhatsApp-Nachrichten, die durch SMARTCHILLI voll automatisiert wurden. Ebenso gibt es positive Rückmeldungen der Servicekräfte, die die Flexibilität und höhere Kontrolle über ihren Arbeitseinsatz oft höher als den Stundenlohn bewerten.

Es erfolgt ein Strukturwandel in der Zusammenarbeit: Arbeitgebende und Arbeitnehmende verlassen ihre Hierarchien und begegnen sich fast schon auf Augenhöhe. Wie das geht? Indem ein transparenter und ehrlicher Aushandlungsprozess zwischen den unterschiedlichen Bedürfnissen stattfindet. Zwischen: „Ich suche Servicekräfte“ und „Ich biete meine Arbeitsleistung.“ Beides auf freiwilliger Basis und der Möglichkeit ungestraft „Nein“ sagen zu können.

SMARTCHILLI errechnet für die Kunden darüber hinaus auch Wahrscheinlichkeiten zur Besetzung von Servicekräften. Auf Basis von statistischen Auswertungen wird früh angezeigt, wenn die Besetzung der Veranstaltung nicht gesichert ist. Der logische nächste Schritt ist nun, die Veranstaltung attraktiver für den Arbeitsmarkt zu gestalten, z.B. durch die Organisation von Sammeltaxis für die Servicekräfte, falls es einmal sehr spät werden sollte. Oder durch eine besondere Verpflegung. Druck auszuüben, ist allerdings keine Option mehr, das System hat diesen Zwang auf die Lohnarbeitenden ausgebaut.

Wahrscheinlich können wir hier tatsächlich von New Work sprechen, so wie sie vom Vorreiter Frithjof Bergmann formuliert wurde:

Übernehmen Plattformen jetzt die Arbeitsorganisation und verdrängen die klassische Disposition und dann auch die Personaldienstleistung? Fest steht, dass sich Dienstleistungsprozesse wie die der Disposition automatisieren lassen und sich diese Berufsbilder verändern werden und verändern müssen.

Am 10. Mai 2023 veranstalten Thomas Suppes und Thorsten Rensing auf der iGZ-Veranstaltung INNOLAB ’23 gemeinsam einen Workshop zum Thema: „Keine Zukunft für Disponenten? Gefahren und Chancen von Plattformlösungen.“