Wie man einen kraftvollen Projektstart gestaltet
Wer ein Ziel erreichen will, hat sich dazu entschlossen an etwas völlig Neuem zu arbeiten. Etwas, das es so noch gar nicht gibt. Denn Ziele sind Boten aus der Zukunft. Mit ihnen sind Wünsche, vielleicht auch Sehnsüchte verbunden. Irgendetwas zieht uns an und ist – attraktiv. Zumindest ist es hilfreich, wenn Ziele so auf uns wirken und nicht bloß pure Gedankenkonstrukte sind. Denn sind Ziele mit Gefühlen verbunden, dann stellen sie für uns etwas unglaublich Wertvolles dar, das wir unbedingt erreichen wollen.
Damit uns das gelingt, braucht es Energie. Viel Energie.
Die bekannten amerikanischen Experten agiler Methoden Diana Larsen und Ainsley Nies vergleichen diese Situation mit dem Start einer Rakete, die die Gravitation überwinden soll. Genauso, wie eine Rakete gegen die Trägheit der Erdanziehung arbeitet, so müssen auch Menschen zu Beginn Widerstände überwinden und sich mit aller Kraft auf ihr Ziel ausrichten.
Am Anfang gibt es oft noch kein eingespieltes Team für dieses neue Ziel. Die erste Aufgabe besteht also darin, Kräfte zu identifizieren und sie in die Richtung des zu erreichenden Zieles zu bündeln. Was wir nicht wollen ist, dass Menschen unabgestimmt sich wie losgelassene Luftballons in alle Richtungen verteilen. Wir wollen keine Abteilungsleiter, die schon mal allein ein Vorgehen skizzieren. Auch keine Fachleute, die schon mal was vorbereitet haben. Und wir wollen keine fragenden Gesichter sehen, die gar nicht wissen, wozu sie denn da sind.
Der Moment, an dem alles losgeht, ist ein entscheidendes Ereignis. Dieses Event ist allerdings ohne ein Davor und ein Danach nicht denkbar.
Insgesamt lassen sich bei einem Setup so fünf Stufen unterscheiden.

Erste Stufe: Die Freigabe
Zunächst einmal braucht es den Auftrag oder die Freigabe eines Sponsors für das Ziel. Also typischerweise von der Geschäftsleitung oder dem Vorstand. Denn mit allen weiteren Aktivitäten ist der Einsatz von Ressourcen und damit Investitionen in Zeit und Geld verbunden.
Übrigens braucht es hier genau EIN Ziel. Eine Geschäftsleitung, die mehrere Ziele vor- oder freigibt, signalisiert keine klare Priorität. Und das ist sicherlich in vielen Kontexten eine bittere Pille. Dummerweise erscheint vieles für uns attraktiv, wichtig und dringend. Also rufen Unternehmen gerne gleich mehrere Ziele aus. In manchen Kontexten mag das auch funktionieren, wenn ich z.B. einen Teil meiner Wertschöpfung optimiere, zusätzlich aber auch ein neues Produkt erarbeiten will. Alles weitere dazu an einer späteren Stelle.
Zweite Stufe: Vorbereitungen
Ziele sind Boten aus der Zukunft. Und sie sollten für alle Beteiligten möglichst attraktiv sein. Dummerweise sind Ziele zunächst einmal nichts weiter als Ideen und Vorstellungen. Aufgrund unterschiedlicher Vorerfahrungen und Kontexte gehen genau diese Vorstellungen schnell auseinander. Und Attraktivität liegt darüber hinaus im Auge der Betrachtenden.
Wenn wir eins aus dem im Jahr 2001 veröffentlichten agilen Manifest lernen können, dann dass die entscheidende Zutat für die Zielerreichung Individuen und Interaktionen sind. Natürich brauchen wir auch Prozesse und Werkzeuge. Es ist aber vor allem der Mensch selbst, der sich Ziele setzt und sie auch gemeinsam erreichen kann.
Um alle Menschen zu einen und auf ein Ziel zu fokussieren, braucht es: Dialoge. Die gilt es zu etablieren und einfach nicht mehr abreißen zu lassen.
Um den Moment, an dem alles losgeht, so optimal zu gestalten, wie es unter den gegebenen Umständen eben geht, braucht es die Aktivierung aller Beteiligten. Aber eben auch eine gute Vorbereitung. Und das meint vor allem erstmal die richtigen Fragen zu stellen. Beispielsweise:
- Handelt es sich um ein Produkt oder eine Dienstleistung für ein einzelnes Team oder sind mehrere Abteilungen bzw. Teams als Ganzes bzw. in Teilen betroffen?
- Was brauchen alle Beteiligten für einen guten Start?
- Wessen Unterstützung ist für den Erfolg unserer Bemühungen unerlässlich? Welche wichtigen Interessensgruppen, Führungskräfte und Sponsoren sollten wir einladen?
- Werden die Beteiligten neue Fähigkeiten und / oder Wissen benötigen?
- Wo erwarten wir Herausforderungen bei der Kommunikation und dem Informationsfluss? Welchen Ton wollen wir anschlagen?
- Haben wir die richtigen Teammitglieder für die funktionsübergreifende Arbeit gefunden?
- Was sind die bekannten Probleme oder Einschränkungen? Welches sind die bekannten Unbekannten?
- Ist es wahrscheinlich, dass während des Starts neue Informationen oder Ideen auftauchen werden? Wenn ja, wie offen sollten wir sein, unseren Plan für den Start anzupassen?
Ziel der Vorbereitung ist es, den eigentlichen Kickoff bestmöglich zu gestalten. Dazu gehört es, verschiedene Rollen zu unterscheiden und zu besetzen. Folgende Rollen sollten hier berücksichtigt werden:
- Kern-Team
Alle, die an der Umsetzung und Zielerreichung beteiligt sind. Ganz unabhängig von ihren Arbeitsschwerpunkten. - Projekt-Manager
Diese Rolle koordiniert vor allem die Planungsgruppe und bereitet mit dieser Gruppe den Kickoff inhaltlich vor. - Moderation
Ist verantwortlich für die Vorbereitung und den Ablauf des Kickoffs, kümmert sich um zwischenmenschliche Dynamiken und ermöglicht Aktivitäten in der Gruppe. - Sponsor
Arbeitet mit dem Produkt Manager zusammen, um den Business Case klar zu fassen. Übergibt die Durchführungsverantwortung an den Projekt-Manager und das Kern-Team und unterstützt, wo notwendig und möglich. - Führungskraft / Agile Coach
Hilft dem Kern-Team, kooperativ und zielgerichtet zu arbeiten.
Dritte Stufe: Der Kickoff
Kein Kickoff gleicht dem anderen. Jede dieser Veranstaltungen hat ihre eigene Agenda und braucht ihre eigene Zeit: ob zwei Stunden oder zwei Tage. Genau diese Frage muss die Moderation mit den Gestaltenden im Vorfeld klären. Je nach zu erreichendem Ziel sind unterschiedliche Bestandteile im Kickoff denkbar, wobei wie oben besprochen es vor allem darum geht, gut miteinander in den Kontakt zu kommen und Inhalte möglichst gemeinsam zu bearbeiten.
Folgende Bausteine eines Kickoffs erscheinen uns nahezu immer sinnvoll.

- Teamverständnis aufbauen
Wer auch immer in welcher Konstellation miteinander arbeitet. Wichtig ist es, Grundlagen für die Zusammenarbeit in der neuen Konstellation zu schaffen. - Klarheit über Rollen herstellen
Ohne Arbeitsteilung wird es nicht gehen. Wichtig für das Arbeiten in Rollen ist es, je nach Rolle die Aufgaben, Verantwortungen und die dafür benötigen Fähigkeiten zu klären. Achtung! Wir wollen crossfunktional im Sinne der Zielerreichung zusammenarbeiten. Daher sollten die Rollen weit gefasst werden, ein zu hoher Detailgrad belastet eher und fördert „Dienst nach Vorschrift“. - Inhalte explorieren und gemeinsam planen
Die Planungsgruppe erfasst die Inhalte zunächst nur grob zur ersten Orientierung. Um ein kraftvolles, gemeinsame Vorgehen zu ermöglichen, macht es Sinn, Großgruppenplanungen durchzuführen, also z.B. eine gemeinsame User Story Map zu entwerfen. - Stakeholder erfassen
Alles, was wir im Zuge der Zielerreichung herstellen, dient echten Nutzer:innen. Wir wollen die Bedürfnisse aller Parteien erfassen, verstehen und managen, die einen Einfluss auf unser Ergebnis, unser Produkt oder unsere neu zu schaffende Dienstleistung haben. - Kontext verstehen
Selten arbeiten wir unabhängig auf der grünen Wiese. Wir wollen möglichst viele Einflüsse erfassen, um sie berücksichtigen zu können. Das können Technologien, andere Abteilungen oder Mitbewerber, aber auch politische und gesellschaftliche Einflüsse sein. - Basis-Routinen schaffen
Die Zusammenarbeit aller Beteiligten ist zu Beginn noch fragil, das Team und neue Strukturen formen sich gerade. Mit Basis-Terminen und Austauschformaten wollen wir die Zusammenarbeit absichern und ihr einen Rhythmus geben. Damit schaffen wir neue und hilfreiche Gewohnheiten.
Je nach Ziel können weitere Bausteine hinzukommen. Vielleicht braucht es einen proaktiven Umgang mit Risiken aber auch Chancen. Oft sind externe Partner und Auftragnehmer einzubinden. Vielleicht sind besondere Regularien zu beachten, juristische Besonderheiten zu berücksichtigen oder Zertifizierungen und Prüfungen notwendig.
Vierte Stufe: Klärungsrunden
Mit dem Kickoff wollen wir Kräfte bündeln und einen bestmöglichen Start gestalten. Wenn wir ein neues Ziel erreichen wollen, dann werden wir notwendigerweise auf Unbekanntes stoßen. Manches ahnen wir bereits, manches überrascht uns, weil wir daran wirklich nicht im Vorfeld denken konnten. Das ist kein Zeichen für schlechte Arbeit, sondern völlig normal. Wir folgen mit unserem Ziel einem Boten aus und in die Zukunft. Das Unbekannte ist dabei unser ständiger Begleiter.
Genau hier setzt das Konzept der Klärungsrunden an. Während des Kickoffs werden neue Bedürfnisse unseres Umsetzungsteams deutlich. Wir werden feststellen, wo uns Wissen und Knowhow fehlt. Vielleicht muss ein Fachthema vertieft werden. Vielleicht sollte dazu ein interner oder externen Experte eingeladen werden. Vielleicht sind weitere Informationen zu beschaffen oder Analysen notwendig.
Idealerweise erstellen wir während des Kickoffs bereits eine Bedarfsliste, um all das zu sammeln, was in den nächsten Runden geklärt werden soll. Wichtig ist hier nur das zu sammeln, was wir für einen erfolgreichen Start brauchen. Es geht hier nicht darum, bereits mit der Umsetzung zu starten. Die eigentliche Realisierung beginnt erst nach der letzten Stufe.
Fünfte Stufe: Retrospektive
Der höchste Sinn und Zweck der abschließenden Retrospektive ist die Qualitätssicherung der Setup-Phase. Die entscheidende Frage lautet: Haben wir alle relevanten Themen und Inhalte geklärt, um unser Ziel erreichen zu können?
Hierzu bietet es sich an, eine Retrospektive zu gestalten, wie sie vor Jahren bereits von Esther Derby und Diana Larsen entwickelt und mit zahlreichen Beispielen vorgestellt wurden. Die Literatur dazu ist zahlreich. In den Quellen findet sich die aktuelle Ausgabe des Standardwerks.
An dieser Stell sei betont, dass eine gute Retrospektive für den Abschluss der Setup-Phase zwei weitere Fragen beantworten soll. Was hat gut funktioniert und wollen wir für die Dauer unseres Projekts beibehalten? Denn wir haben bereits in der ersten Phase unseres Projekts bereits zusammengearbeitet und sicherlich auch gute Erfahrungen gesammelt. Diese Erlebnisse sollten wir uns bewusst vor Augen führen, um weitere gute Gewohnheiten in unseren Projektalltag integrieren zu können.
Nach dem Setup ist vor dem Setup. Aus Sicht unserer Organisation drängt sich eine abschließende Frage auf: Was wollen wir für das nächste Mal beibehalten oder verändern? Wir haben nicht nur wertvolle Erkenntnisse für den Fortgang unseres aktuellen Projekts gesammelt, sondern auch Wissen und Erfahrungen gesammelt, von denen zukünftige Zielerreichungsvorhaben profitieren können. Diese Erkenntnisse gilt es zusammenzustellen und so zu dokumentieren, dass wir darauf bei einer nächsten Setup-Phase gut zurückgreifen können.
tldr;
Ein kraftvoller Projektstart erfordert ein klares Ziel, das emotional anziehend ist und alle Beteiligten motiviert. Der Prozess gliedert sich in fünf Stufen: Freigabe, Vorbereitung, Kickoff, Klärungsrunden und Retrospektive. Zunächst muss ein eindeutiges Ziel definiert und vom Sponsor freigegeben werden, um Ressourcen zu sichern. In der Vorbereitungsphase werden Dialoge etabliert, erste Rollen geklärt und zentrale Fragen zur Zielerreichung gestellt. Der Kickoff dient dazu, das Team zu vereinen, Rollen zu definieren, Stakeholder einzubinden und eine gemeinsame Planung zu starten. Klärungsrunden helfen, Unbekanntes zu identifizieren und notwendige Ressourcen oder Wissen bereitzustellen. Abschließend sichert eine Retrospektive die Qualität des Setups und liefert Erkenntnisse für zukünftige Projekte.
Quellen
- Beck, Kent, et al. Manifesto for Agile Software Development. The Agile Alliance, 2001.
- Derby, Esther und Diana Larsen. Agile Retrospektiven: Praktiken und Übungen, die das Lernen in und die Zusammenarbeit von Teams fördern. Vahlen 2025.
- Larsen, Diana und Ainsley Nies. Liftoff. Start and Sustain Successful Agile Teams. The Pragmatic Programmers 2016, 2nd Edition.